Die sog. Digitalisierung ist derzeit in aller Munde. Doch was bedeutet eigentlich Digitalisierung? Und welche Folgen hat sie für die Arbeitswelt von morgen? In welchem Umfang wird menschliche Arbeitskraft in Zukunft überhaupt noch benötigt werden? Diese und ähnliche Fragen werden seit einiger Zeit unter dem Stichwort Arbeit 4.0 diskutiert. Auch wir als Fachkanzlei für Arbeitsrecht haben uns zu diesem wichtigen Thema Gedanken gemacht. Ein Beitrag von Beate Brossmann:

Einleitung

Die Durchdigitalisierung der Wirklichkeit wird eine grundlegende Wandlung alles Bestehenden her-vorrufen, in dem die Arbeitswelt nur einen Bereich darstellt. Im Zuge der Digitalisierung werden bestimmte Jobs wegfallen. Künstliche Intelligenz wird eine ganze Reihe von Berufen und ganze Branchen stark verändern. Der Anteil des produzierenden Gewerbes in Deutschland lag 1930 bei 70%, der Anteil der Wissens- und Servicearbeit bei 30%. Bereits heute soll 50% aller Arbeiten in Büros Wissensarbeit sein – Tendenz steigend. 2020 sollen 85% der Gesamtarbeit aus Wissens- und Servicearbeit bestehen, der produzierende Bereich – v.a. aufgrund von Automatisierung von Produktionsprozessen – aus 15%. Die Landwirtschaft macht schon heute in Deutschland nur noch 2,9% aus.

Arbeitsgesellschaft als Ganzes

Immaterielle, kreative Arbeit wird von in der Regel von akademisch Ausgebildeten in der Wissens- und Kulturökonomie geleistet. Die Akademikerklasse macht etwa ein Drittel aller Erwerbstätigen aus – mit steigender Tendenz („Massenintelligenz“). Parallel dazu existieren die industrielle Produktion von Investitionsgütern und Rohstoffen sowie die einfachen und routinierten Dienstleistungen weiter. Die postindustrielle Ökonomie und ihre Arbeitsverhältnisse sind sehr heterogen und weisen eine Tendenz zur Polarisierung der Arbeitswelt zwischen der Kultur- und Wissensindustrie der Hochqualifizierten und Kreativen einerseits und den routinierten Dienstleistungen der neuen Dienstleistungsklasse andererseits („lovely jobs“ und „lousy jobs“) auf. Die Arbeitswelt wird sich aufspreizen in relativ wenige hochbezahlte und eine Vielzahl von schlecht bezahlten Jobs.

Creative economy

Praktiken des Arbeitens sind nicht länger – wie in der Industriegesellschaft – auf standardisierte Güter und Dienstleistungen ausgerichtet, sondern auf die Verfertigung immer wieder neuer attraktiver Güter. Wissensarbeit wird dadurch im Kern zu kultureller Produktion, zu Kreativarbeit.
Die Kulturalisierung der Arbeit mit ihrer identifikatorischen Aufladung als Hauptquelle von Lebens-sinn und Befriedigung unterstützt die spätmoderne Tendenz der Selbstausbeutung, die sich in einer Expansion der Arbeit ins Privatleben ausdrückt. Sie birgt das Risiko, dass die Arbeit keine Grenzen mehr kennt und dem Arbeitenden aufgrund der mangelnden Distanz zwischen beruflicher Selbstverwirklichung und persönlicher Identität kein Rückzugsraum bleibt. Im klassischen Arbeitsverhältnis hingegen mit seinen standardisierten und formalisierten Tätigkeiten war und bleibt die Arbeitsintensität begrenzt und Distanz zur Arbeit möglich.

Digitalisierung und Gesellschaft

Angesichts der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, die die Digitalisierung für die Arbeits- und Lebenswelt schafft, plädieren Intellektuelle dafür, dass es einen gesellschaftlichen Diskurs dazu geben müßte, was wir wollen und was wir nicht wollen, ja sogar verbieten sollten. Sozialwissenschaftler fordern einen „digitalen Gesellschaftsvertrag“. Die vollständige Entprivatisierung des Lebens der Bürger und Arbeitnehmer durch grenzenlose Datenerfassung und –auswertung ist dabei ein permanenter Stein des Anstoßes. Aber auch die Möglichkeit eines großangelegten Beschäftigungsverlustes sollte den Kritikern zufolge eine politische Gestaltung dieses gravierenden Prozesses provozieren. So sollte das bedingungslosem Grundeinkommen und die rechtzeitige zielgerichtete Umschulung von ökonomisch bedrohten Bevölkerungsschichten in Angriff genommen werden.
Ziel der Digitalisierung ist die Überwindung des fehlbaren Menschen sowie Leistungssteigerung, Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch Prozessoptimierung. Es liegt daher nahe, dass die Automatisierung und Digitalisierung noch nicht in absehbarer Zeit alles umfassen wird, was technisch möglich wäre, sondern nur das, was auch profitabel und sinnvoll ist.

Arbeitsrecht

Arbeitgeber und „Wirtschaftsweise“ wollen die „digitale Revolution“ dazu benutzen, arbeitsgesetzliche Standards und geltende Regeln zurückzuschrauben. So fordern sie die Politiker auf, die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf acht Stunden aufzuheben. Stattdessen solle nur noch die bestehende maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden gelten. Auch die Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstagen soll von elf auf neun Stunden verkürzt werden. Vor allem die Gewerkschaften wehren sich gegen diese Pläne. Sie befürchten, dass die Arbeitgeber die Lockerung dazu nutzen könnten, in Tarifvereinbarungen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter auszuweiten. Dabei sind selbst bei der heutigen Rechtslage, die zahlreiche Ausnahmeregelungen zuläßt, Arbeitszeiten von bis zu 10 Stunden täglich möglich. Schon die bislang stattfindende Digitalisierung der Arbeitswelt war und ist ein gigantisches Rationalisierungsprogramm.

Fazit

Insgesamt ergibt sich also ein ambivalentes Bild: Der technische Fortschritt, der zum nahezu voll-ständigen Verschwinden harter körperlicher Arbeit führen wird, greift tief in Geist und Körper des Menschen ein und treibt den Preis für eine weitere Komfortisierung des Lebens sehr hoch. Ob die anstehende tiefgreifende Veränderung des Lebens in der westlichen Welt auch eine Verbesserung seiner Qualität darstellen wird, ist daher derzeit noch nicht entschieden.

Literaturempfehlungen

Jánsky, Gabor Sven/Abicht, Lothar, 2005. So arbeiten wir in Zukunft, Goldegg Verlag Berlin 2013

Frank, Elke/Hübschen, Thorsten, Out of office. Warum wir die Arbeit neu erfinden müssen, Redline Verlag München 2015

Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Bundesrepublik Deutschland, Arbeit weiter denken, Weisbuch Arbeiten 4.0, Berlin 2017 (www.arbeitenviernull.de)

Arbeit 4.0 – Langfassung als PDF-Dokument)

Eine ausführliche Darstellung zu diesen Überlegungen finden Sie hier:
Arbeit 4.0 – Langfassung (PDF-Dokument)